Der Modelle Tugend 2.0 – Vom digitalen 3D-Datensatz zum wissenschaftlichen Informationsmodell

Hoppe, Stephan
Ludwig-Maximilians-Universität München
email@stephan-hoppe.de

Pfarr-Harfst, Mieke
Technische Universität Darmstadt
pfarr@dg.tu-darmstadt.de

Münster, Sander
Technische Universität Dresden
sander.muenster@tu-dresden.de

Kuroczyński, Piotr
Herder-Institut Marburg
piotr.kuroczynski@herder-institut.de

Blümel, Ina
Technische Informationsbibliothek Hannover
ina.bluemel@tib.uni-hannover.de

Hauck, Oliver
Institut für Raumdarstellung
oha@raumdarstellung.org

Lutteroth, Jan
Technische Universität Darmstadt
j.lutteroth@googlemail.com

Die Arbeitsgruppe Digitale Rekonstruktion ging aus der 1. Jahrestagung der Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (25.-28.02.2014, Universität Passau) hervor und vereint zurzeit 43 Mitglieder aus 27 Forschungsinstitutionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Das Panel Pecha Kucha – Virtuelle Rekonstruktion versammelte in Passau 2014 Kolleginnen und Kollegen, die sich dem Thema aus dem Blickwinkel der Architektur, Archäologie, Bau- und Kunstgeschichte sowie Computergraphik und Informatik verschrieben haben.

Die Gründungsmitglieder nutzten die Gelegenheit in Passau, um eine Plattform in Form der Arbeitsgruppe für einen engeren Austausch und eine feste Etablierung der digitalen hypothetischen 3D Rekonstruktion vom Kulturerbe innerhalb der Digital Humanities einzurichten.

Während der 2. Jahrestagung der Digital Humanities im deutschsprachigen Raum an der Universität Graz wurde das Ziel einer gemeinsamen Publikation für Ende 2016 zum Thema der Digitalen 3D Rekonstruktion im Kontext der geisteswissenschaftlichen Forschung vorgestellt.

Beim 3. Arbeitstreffen der Arbeitsgruppe Digitale Rekonstruktion im Herder-Institut zu Marburg am 11.09.2015 wurde das Konzept und die inhaltliche Strukturierung intensiv besprochen. Die Publikation soll den heutigen Standpunkt der digitalen 3D Rekonstruktion beleuchten und richtungsweisende Perspektiven aufzeigen, wie die digitalen 3D-Datensätze sowie ihre vielfältigen Anwendungen wissenschaftlichen Standards entsprechen können.

Die Arbeitsgruppe Digitale Rekonstruktion möchte für die 3. Jahrestagung der Digital Humanities im deutschsprachigen Raum in Leipzig ein weiteres Panel unter dem Titel Der Modelle Tugend 2.0 – Vom digitalen 3D-Datensatz zum wissenschaftlichen Informationsmodell anbieten.

Hierzu laden wir vier Vortragende jeweils zu vier eruierten und neu strukturierten Inhalten der geplanten Publikation ein. Damit wollen wir die lebendige Diskussion und die Zwischenergebnisse der Arbeit an der Publikation in die Digital Humanities im deutschsprachigen Raum hineintragen.

Was ist eine digitale 3D-Rekonstruktion?
Stephan Hoppe

Die dreidimensionalen Computermodelle im Kontext des materiellen und immateriellen kulturellen Erbes sind Wissensträger, in denen objektimmanentes Wissen meist in Bezug auf nicht mehr vorhandene Gebäude oder Siedlungsstrukturen gespeichert wird. Doch was ist eine digitale 3D-Rekonstruktion tatsächlich, wie kann man diese Modelle definieren und was befähigt sie, ein Träger des Wissens zu sein? Der Vortrag beleuchtet die Typologie digitaler 3D-Rekonstruktion als eigenständige Forschungs- und Vermittlungsmethodik im Kontext von Cultural Heritage und zeigt die damit verbundenen grundlegenden Herausforderungen auf. Ausgehend von der Einführung in die Kulturgeschichte dieser Disziplin und unter besonderer Betrachtung der Bild- und Technikgeschichte sowie der Projektgeschichte und den damit verbundenen Meilensteine wird eine Historie digitaler 3D-Modellierung skizziert. Grundlage ist dabei die generalistisch-theoretische Betrachtungsweise, die neben der Verortung dieser neuen Disziplin im Bereich der Digital Humanities auch die Notwendigkeit von einheitlichen Glossaren oder Thesauri aufgreift. Ein weiterer Fokus des Vortrags liegt auf der Betrachtung der Eigenschaften digitaler Rekonstruktionen, den daraus resultierenden Potentialen und Anwendungsmöglichkeiten bezogen auf die Anwendungsfelder der 3D-Modelle. So sind die digitalen dreidimensionalen Modelle eine neue Ausdrucksform und ein neues Medium, um unser Wissen darzustellen. Dabei haben sich einerseits vielfältige Anwendungsgebiete und Verwendungskontexte in den letzten Jahren herausgebildet, andererseits fehlen noch immer einheitliche Standards und Strukturen.

Alle diese Themenfelder sind eng miteinander verwoben und müssen in Abhängigkeit miteinander betrachtet werden. Unter dem Aspekt, die dreidimensionalen Computermodelle als Wissensträger zu verstehen, zeigt der Vortrag den grundlegenden Handlungsbedarf systematisch auf und skizziert erste Ideen und Visionen in diesem Kontext.

Welche Vermittlungs- und Darstellungsformen bietet sie an?
Oliver Hauck

Im Spannungsfeld von Illusion und Immersion existiert ein breites Spektrum von Darstellungs- bzw. Publikationsformen digitaler 3D-Rekonstruktionen, die sich nicht nur in Ihrer Perzeption, sondern auch in ihren technischen Anforderungen sowie im Erstellungsaufwand massiv unterscheiden. Einleitend soll ein Überblick über die verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten und die ihnen immanenten Eigenschaften und Anforderungen gegeben werden. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob und in wie fern die Visualisierungsmethode Einfluss auf die Modellerstellung selbst hat und wo die Grenzen zwischen wissenschaftlich fundierbaren, nachvollziehbar zu machenden Entscheidungen und solchen rein künstlerischer Natur liegen. Eine Frage, die im wissenschaftlichhen Diskurs bisher erstaunlich geringe Beachtung fand, dreht sich der Diskurs momentan hauptsächlich um Fragen der Nachvollziehbarkeit der Modellierung (überwiegend dabei die Frage der Verknüpfung des Modells und seiner Quellen).

Zuletzt soll die Frage diskutiert werden, ob die allgemein als Desideratum angesehenen Standards für digitale 3D Rekonstruktionen überhaupt gebraucht werden, oder ob nicht die Forderung nach Werkzeugen zur wissenschaftlichen Diskurseinbindung, mithin also zur Herstellung der Zitierbarkeit der Modelle und ihrer Visualisierungen, insbesondere im Hinblick auf den rückwirkenden Umgang mit bestehenden 3D Modellen und Visualisierungen wichtiger ist, da dies den Rückgriff auf die existierenden Standards wissenschaftlicher Arbeit erlaubt.

Welche Methoden wendet sie an?
Mieke Pfarr-Harfst, Sander Münster

Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit einer Disziplin ist unmittelbar mit dem Status Quo ihrer Methodologie in Bezug auf die vorhandenen Prozesse und Arbeitsweisen sowie den partizipierenden Disziplinen verbunden. Die derzeit existierende internationale wissenschaftliche Community zur digitalen 3D-Rekonstruktion im wissenschaftlichen Kontext greift vor allem Perspektiven der Archäologie sowie der Cultural Heritage Conservation auf. Dabei nutzen digitale 3D-Rekonstruktionen nicht nur Technologien aus der Informatik zur Bearbeitung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen, sondern inkorporieren darüber hinaus eine Vielzahl unterschiedlicher disziplinärer Perspektiven und Verwendungskontexte. Der Impulsvortrag möchte die aktuelle Diskussion in der wissenschaftlichen Community in Bezug auf die angewendeten Methoden und die jeweils am Prozess beteiligten Disziplinen beleuchten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welches sind Forschungs- und Nutzungsansätze digitaler Rekonstruktion und wie spiegeln sich diese in einer Methodologie wider? Nutzungsansätze umfassen neben der Darstellung historischer Gebäude und Objekte im Kontext der Wissensvermittlung auch die Erforschung von historischen Planungs- und Konstruktionsprozessen, die Kontextualisierung und Prüfung der Konsistenz von Quellen, die Klassifikation von Objekten und die Identifikation von Schemata.

Im Rahmen des Vortrags sollen zunächst generelle Typologien und Abläufe digitaler 3D-Rekonstruktion sowie damit verbundene wissenschaftsmethodische Anforderungen dargestellt werden. Darüber hinaus soll die wissenschaftliche Einbettung, also der Zweck, die Anwendungsmöglichkeiten, die Disziplinabhängigkeit, die Nutzungskultur, die Akzeptanz und Etablierung sowie die Wissenschaftlichkeit beleuchtet werden. Die Potentiale der digitalen Rekonstruktionen wie Generierung, Sicherung und Fusionierung von Wissen sollen im Kontext des methodologischen Vorgehens und typischer Arbeitsabläufe aufgezeigt werden

Wie soll das Wissen organisiert werden?
Piotr Kuroczyński, Ina Blümel

Semantic-Web-Technologien, z. B. eine aussagenbasierte Strukturierung von Daten in RDF-Tripeln und Anwendung von sogenannten Ontologien scheinen auf breiter Front einen Vormarsch in die Digital Humanities zu wagen. Die Potenziale von Linked Open Data, insbesondere der Verknüpfung von Wissen über Bereichsgrenzen hinweg zu einem globalen Graphen für die Wissensdomäne, ziehen immer mehr Forschungsprojekte in den Bann.

Was verbirgt sich hinter RDF, Ontologien und ihren NameSpaces? Welche Motivation steckt hinter der in Ferne auftauchenden Idee künstlicher Intelligenz? Wie wird das Wissen im Web 3.0 strukturiert und organisiert? Welche Forschungsinfrastrukturen werden der Wissenschaft in diesem Kontext einen angemessenen Dienst leisten?

Der Impulsvortrag möchte einen Einblick in diese Themen innerhalb der Domäne der digitalen 3D-Rekonstruktion mit ihren 3D-Datensätzen geben und auf die domänenspezifischen Möglichkeiten, Chancen aber auch die Herausforderungen von Semantic-Web-Technologien eingehen.

Die Komplexität der Aufgaben stellt geisteswissenschaftlich grundierte Projekte vor neue Herausforderungen, unter anderem die Entwicklung und Anwendung von adäquaten Thesauri oder die Referenzierung auf den ISO-Standard 21127:2006 (CIDOC-CRM). Anhand beispielhafter laufender Projekte im Bereich der Rekonstruktion von barocken Schlössern und der Archivierung von Architekturmodellen soll ein Einblick in Strategien zur Wissensorganisation hinsichtlich der Interoperabilität, der Verfügbarkeit sowie zu den Applikationsontologien gegeben werden. Des Weiteren wird eine virtuelle Forschungsumgebung mit einem idealtypischen Interface skizziert, sowie ausgewählte Features und das Backend für die Erfassung der Quellen, der Aktivität einer 3D-Computerrekonstruktion und Annotation von 3D-Objekten sowie die Publikation der 3D-Daten mit ihren „digitalen Fußnoten“ (Meta- und Paradaten) konzipiert.